Als Stipendiat in Trient

Während sich der Rest des neuen E-Jahrgangs nach den Sommerferien an die Oberstufe gewöhnt, bin ich als Stipendiat der Autonomen Provinz Trient ebendort, in Norditalien, unterwegs. Doch ich reise nicht alleine; in einer Gruppe aus 41 SchülerInnen aus ganz Deutschland und zwei Lehrerinnen treten wir am 03. September um 13 Uhr aus München in einem Reisebus unsere Reise über die Alpen an. Vorfreude und ungeduldige Erwartungsstimmung mischen sich unter die Gespräche, als sich die Gruppe langsam kennenlernt. Noch im Bus unterschreiben wir einen Verhaltenskodex, da wir als Vertreter der Bundesrepublik reisen.

Nach der Ankunft am Abend lerne ich meine vierköpfige Gastfamilie, die im historischen Stadtzentrum der Provinzhauptstadt lebt, beim Abendessen kennen und merke schnell, dass ich hier gerne für zwei Wochen leben möchte, nicht zuletzt wegen des vortrefflichen Essens. In der folgenden Woche springe ich bei 27 Grad mit meinen Gastgeschwistern, dem 16 jährigen Tobia und seiner 13 Jahre alten Schwester Lara von Felsvorsprüngen in türkisblaue Bergseen und genieße mit meiner Gastfamilie die letzte Ferienwoche der dreimonatigen Sommerferien. Da italienische SchülerInnen über die lange Schulpause Hausaufgaben aufbekommen, die traditionell 11 Wochen nicht beachtet werden und dann in den letzten Tagen unter größtem Zeitdruck erledigt werden, treffe ich mich, wenn wir keine Ausflüge in der Gruppe aus deutschen und einigen italienischen Mädchen und Jungen unternehmen mit meinen neugewonnen deutschen Freundinnen, den es ähnlich ergeht. In der Gruppe fahren wir auf dem Fluss Po in die historische Stadt Mantua, besuchen kulturelle Einrichtungen, betreiben auf dem Gardasee Wassersport und gehen schwimmen. Wir lassen uns von unseren Gastgeschwistern in das italienische Leben von Trient einführen, bestehend aus dem geselligen Genießen von regionalen Süßspeisen, reichlich Espresso und dem guten Wetter. Überraschenderweise funktioniert die Kommunikation in Italienisch sowohl mit der Gastfamilie als auch mit allen anderen erstaunlich gut und schnell gewöhne ich mich an die geschmeidige Melodie aus meinem Mund und in meinen Ohren.

Am Sonntag wird mir die Ehre zuteil, in Mailand an einer wirklich italienischen Familienfeier, dem Geburtstag des Opas teilzuhaben. Wirklich italienisch, das bedeutet, dass die riesige, aus ganz Norditalien angereiste Familie, während Unmengen von köstlichen Speisen bei Wein und Kaffee verzehrt werden, mit der Lautstärke eines Wasserfalls zusammen redet und lacht. Am vorherigen Tag, dem Samstag, zeigen mir mein Gastbruder und alte Freunde von ihm Mailand. Die zweite Woche startet mit einer Stadtführung durch Trient, das mir inzwischen heimisch geworden ist, in dessen Anschluss drei Freundinnen und ich spontan beschließen, den Zug in das rund 100 Kilometer entfernte Verona zu nehmen, was sich als sehr gute Idee herausstellt.

Am Dienstag startet für mich der erste von insgesamt vier Schultagen am Liceo da Vinci. Mit Tobia besuche ich von 8-12 Uhr die 3.Stufe der naturwissenschaftlichen Oberschule, was unserer 10. Klasse entspricht und lerne diese kennen. In der Klasse finde ich mich schnell ein und auch dem Unterricht kann ich zum größten Teil folgen. Doch obwohl die großen Klassenräume sehr viel moderner und technisch besser ausgestattet sind, bin ich froh in Deutschland zur Schule zu gehen; der Unterricht enttäuscht mich. Es findet nur Frontalunterricht statt und obwohl Englisch und Deutsch seit der ersten Klasse unterrichtet werden, ist kaum jemand in der Lage, einen Text in diesen Sprachen vorzulesen. Auch werden Bio, Physik und Chemie, zusammengefasst in einem Fach, an dem naturwissenschaftlichen Gymnasium nur dreistündig pro Woche unterrichtet. Das Fach Informatik gefällt mir sehr gut und ich würde mir wünschen, dass dies auch in Schleswig-Holstein unterrichtet wird. Nach der Schule fahren wir an einem Tag mit der Gruppe nach Riva del Garda, sonst ich unternehme etwas mit Tobia oder meinen anderen deutschen und italienischen Freunden und Freundinnen in der Stadt und an einem Tag fahren wir, meine Gastfamilie und ich, nach Bozen, wo, anders als in Trient, fast jeder deutsch spricht. An den Abenden, an denen wir zuhause essen, erwartet uns zuhause in Trient ein köstliches Festmahl, bereitet von Katherina, meiner Gastmutter. Marco, der Gastvater, der als Anästhesist arbeitet, erzählt von seinem Tag im Krankenhaus und wir anderen von unseren Erlebnissen; meistens werden mir italienische Sprichworte erklärt und ich erzähle von meinem Leben in Deutschland. Als Dankeschön für die schöne Zeit backe ich am letzten Tag etwas typisch Hamburgisches, Franzbrötchen, die allen sehr gut schmecken. Wir beschließen einen Besuch der Familie bei uns in Appen und mir wird angeboten, meine Ferien in Trient zu verbringen, worauf ich sicher zurückkommen werde.

Nach einem letzten gemeinsamen Frühstück fährt der Bus nach München ab; wir brauchen statt vier Stunden jedoch acht und mein Anschluss ICE fährt ohne mich, wodurch ich gezwungen bin mit einem überteuerten IC nach Hamburg zu kommen. Doch auch dies schmälert den Gesamteindruck nicht: Ich hatte eine wunderbare Zeit in Trient, habe viele neue Freundinnen und Freunde kennengelernt, wurde kulinarisch verwöhnt und habe Italien von einer ganz anderen Seite kennengelernt. Diese zwei Wochen habe ich wirklich genossen.

 

Henry K., E1a